Quantenservernetz mit Quantencomputer in einem Serverraum. Symbolbild: Adobe Stock
Prof. Dr. Carolin Häussler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship an der Universität Passau und Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin. Diese leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Das Gutachten 2025 befasst sich schwerpunktmäßig mit den Themen Digitalisierung und Dekarbonisierung als treibende Kräfte des Strukturwandels, mit Quantentechnologien sowie Innovationen in der Wasserwirtschaft. Im Video-Interview ordnet die Innovationsökonomin die aktuelle wirtschaftliche Lage in Deutschland ein, spricht über die Empfehlungen der Kommission und insbesondere über die Chancen der Quantentechnologien für Deutschland und Europa.
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Die EFI Kommission bei der Übergabe des Jahresgutachtens 2025 an Bundeskanzler Olaf Scholz (v. l.): Friederike Welter, Christoph M. Schmidt, Carolin Häussler, Uwe Cantner, Olaf Scholz, Irene Bertschek, Guido Bünstorf, Foto: Linda Köhler-Sandring
Mit welchen Themen beschäftigt sich das EFI-Gutachten 2025?
Im ersten Teil des Gutachtens ordnen wir die wirtschaftliche Lage und Leistungsfähigkeit des Forschungs- und Innovationssystems ein und schlagen konkrete Maßnahmen vor, mit der die neue Bundesregierung die derzeitigen Herausforderungen angehen kann.
Im zweiten Teil richten wir mit Schwerpunktkapiteln den Blick auf drei konkrete Problemstellungen. Im Gutachten 2025 sind dies: Erstens, Digitalisierung und Dekarbonisierung als treibende Kräfte des Strukturwandels. Zweitens: Mit den Quantentechnologien stellen wir einen Bereich vor, in dem Deutschland derzeit eine international starke Position in der Forschung einnimmt. Diese Position gilt es, nicht zu verspielen. Drittens: Innovationen in der Wasserwirtschaft: Durch den Klimawandel sehen wir teilweise hohe Schwankungen beim Wasserdargebot, und hier diskutieren wir, wie Innovationsaktivitäten und geschickt gesetzte Rahmenbedingungen helfen können, eine sichere Versorgung mit sauberem Wasser zu gewährleisten.
Aus Perspektive der Innovationsökonomin: Warum läuft die deutsche Wirtschaft nicht rund?
Wir haben nicht nur mit konjunkturellen, sondern vor allem auch mit strukturellen Schwächen zu kämpfen.
Letztere bestehen zwar schon länger. Aber nun sind sie so eklatant, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Allerdings stehen wir jetzt vor einer Situation, in der die Wachstumsdynamik ausbleibt, die Exporte zurückgehen und die Unternehmensschließungen zunehmen.
Verschärft wird das Ganze durch einen transformativen Wandel, getrieben durch Digitalisierung und Dekarbonisierung. Wandel bedeutet immer auch Chance – aber nur, wenn man die Möglichkeiten hat, die Chance zu ergreifen.
Dies ist derzeit am Standort Deutschland schwierig. Das zeigt sich etwa an einer wenig dynamischen Intensität der Forschungs- und Entwicklungs-Aktivitäten und damit einhergehend in einer geringen Bereitschaft, in diese zu investieren. Wir sehen, dass Deutschland bei Patentanmeldungen zurückfällt, insbesondere bei künstlicher Intelligenz, und Unternehmen verlagern Standorte ins Ausland und investieren in Startups anderswo.
Eine zentrale Empfehlung der EFI an die Bundesregierung lautet: Es braucht eine klare Vision und Strategie in der Forschungs- und Innovationspolitik, klare strategische Leitlinien und mehr Durchsetzungskraft. Alle Ministerien müssen hier einschwingen.
Was ist zu tun?
Wir müssen das Schwungrad zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Investoren wieder aktivieren. Das gelingt nur, wenn Bremsklötze beseitigt werden.
Jetzt gilt es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wir die Chancen nutzen, die uns gerade heute bahnbrechende Technologien und Innovationen bieten. Insofern muss unternehmerische Initiative und Risikobereitschaft gefördert werden. Die hohen Kosten des Scheiterns müssen runter, damit Unternehmen wieder mutig innovieren, anstatt beim Bewährten zu bleiben. Überbordende Regulierungen und Berichtspflichten müssen zurückgefahren werden. Das schafft nicht nur Freiräume für Unternehmen, sondern erweitert Spielräume um staatliches Handeln effizienter auszurichten.
Eine zentrale Empfehlung der EFI an die Bundesregierung lautet: Es braucht eine klare Vision und Strategie in der Forschungs- und Innovationspolitik, klare strategische Leitlinien und mehr Durchsetzungskraft. Alle Ministerien müssen hier einschwingen.
Zudem benötigen wir eine adäquate und schlagkräftige Governance-Struktur. So empfehlen wir beispielsweise, die Zuständigkeiten für die Forschungs- und Innovationspolitik in einem Bundesministerium für Forschung, Innovation und Technologie (BMFIT) zu bündeln. Und wir erneuern unsere Empfehlung, endlich ein Digitalministerium zu schaffen, das die großen Linien der digitalen Transformation vorzeichnet, Strategien entwickelt und sie koordinierend vorantreibt.
Vermehrt werden industriepolitische Eingriffe gefordert. Helfen uns diese?
Der Rückgriff auf industriepolitische Maßnahmen wird vor allem mit drei Zielsetzungen begründet: Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Souveränität.
Allerdings sind industriepolitische Eingriffe mit einem grundsätzlichen Problem verbunden: Woher will die Politik wissen, wie sich Technologien und Geschäftsmodelle sowie die Nachfrage nach ihnen entwickeln werden? Dieses Wissen ist in den Unternehmen, die diese Technologien und Geschäftsmodelle entwickeln, sehr wahrscheinlich in größerem Umfang vorhanden.
In Bezug auf Industriepolitik empfiehlt die EFI, Standorte in Deutschland durch herausragende Forschung, den Ausbau von Infrastruktur, durch gute Bedingungen für unternehmerisches Handeln sowie durch Maßnahmen zur Förderung von Forschungstätigkeiten in Unternehmen attraktiv zu machen.
Welche Chancen bergen neue Quantentechnologien?
Neue Quantentechnologien basieren auf den neuesten Erkenntnissen der Quantenphysik und bergen enormes Innovationspotenzial in verschiedenen Technologiefeldern.
Besonders dynamisch entwickelt sich aktuell das Quantencomputing. Quantencomputer können viele Rechenoperationen parallel ausführen und damit Herausforderungen lösen, die mit klassischen Computern nicht zu bewältigen sind – sei es in der Chemie, den Biowissenschaften, dem Finanzwesen oder der Automobilindustrie. Ein ähnlich starkes Potenzial zeigt sich in der Quantensensorik, die beispielsweise wichtige Fortschritte in der autonomen Navigation ermöglicht und in der medizinischen Diagnostik verspricht.
Für Deutschland und Europa bieten sich zwei große Chancen: Erstens die Möglichkeit, in einer Schlüsseltechnologie der Zukunft eine globale Spitzenposition einzunehmen.
Zweitens eröffnen Quantentechnologien die Chance, technologische Abhängigkeiten von außereuropäischen Akteuren im Computing zu reduzieren und damit mehr technologische Souveränität in einem der bedeutendsten Innovations- und Wachstumsbereiche zu erlangen.
Deutsche Akteure haben im Quantencomputing dank exzellenter Grundlagenforschung und angewandter Forschung und Entwicklung in der Quantenphysik eine gute Ausgangsposition im internationalen Wettbewerb. Doch die gilt es nicht zu verspielen.
Wo steht Deutschland im internationalen Wettbewerb der Quantentechnologien?
Deutsche Akteure haben im Quantencomputing dank exzellenter Grundlagenforschung und angewandter Forschung und Entwicklung in der Quantenphysik eine gute Ausgangsposition im internationalen Wettbewerb. Doch die gilt es nicht zu verspielen. Denn obwohl viele Entwicklungen in den Quantentechnologien noch in einem frühen Stadium sind, arbeiten bereits unter anderem US-amerikanische Technologieriesen wie IBM, Microsoft und Google mit Hochdruck am Transfer neuer Erkenntnisse aus der Quantenforschung in praktische Anwendungen. Ein Beispiel: Von den weltweit knapp 1.800 Patentanmeldungen der vergangenen zwei Jahrzehnte im Bereich Quantencomputing stammen etwa die Hälfte aus den USA und nur gut 70 aus Deutschland. Hier liegt häufig eine Schwäche im deutschen Forschungs- und Innovationssystem, denn exzellente Forschung allein reicht nicht, um sich langfristig eine Spitzenposition im globalen Wettbewerb zu sichern. Deutschland hat zu oft schon bahnbrechende Ideen entwickelt, die später anderswo zur Marktreife gebracht wurden.
Was muss getan werden, damit Deutschland im globalen Rennen um Quantentechnologien mithalten kann? Welche Rolle hat Europa?
Wir müssen strategischer werden. In der EU und auch in Deutschland. Wir müssen die Kräfte innerhalb der EU bündeln und nationale Kompetenzen strategisch koordinieren. Unser Ziel sollte ein leistungsstarkes europäisches Quantenökosystem sein – mit enger Vernetzung von Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Investoren.
Auf nationaler Ebene schlagen wir eine kohärente Quantenstrategie vor, die mit einem nachhaltigen Förderkonzept klare Signale für ein langfristiges Engagement an wissenschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure sendet. Der Förderrahmen des Handlungskonzepts Quanten der bisherigen Bundesregierung endet bereits in 2026. Damit vielversprechenden Projekten jetzt nicht der Stecker gezogen wird, besteht umgehender Handlungsbedarf.
Parallel dazu sollten wir die Entwicklung regionaler Forschungs- und Innovationscluster fördern, die sich klar spezialisieren, niederschwellig Zugang zu Rechen-Infrastruktur erlauben und überregional vernetzen. Und wir müssen den Transfer von Forschung in die Anwendung beschleunigen, etwa durch eine Quanten-Benchmarking-Plattform.
Zu beachten ist auch: Quantentechnologie ist Deep Tech. Das bedeutet: Unternehmen brauchen einen langen Atem. Deep Tech braucht Kapital – und zwar viel. Für die Wachstumsphase junger Unternehmen muss ausreichend Risikokapital bereitstehen. Wir empfehlen Steuererleichterungen und die Einrichtung von Investitionsfonds, um privates Kapital zu mobilisieren. Zudem schlagen wir vor, technologieoffene Ankerkundenverträge verstärkt zu nutzen.
Wir haben hier eine großartige Chance, in einer Schlüsseltechnologie der Zukunft eine globale Spitzenposition einzunehmen und somit den Technologiestandort Deutschland bzw. Europa nach oben zu heben.
Ihre Einschätzung: Sollte die neue Bundesregierung das Thema Quanten oben auf die Agenda setzen?
Wir haben hier eine großartige Chance, in einer Schlüsseltechnologie der Zukunft eine globale Spitzenposition einzunehmen und somit den Technologiestandort Deutschland bzw. Europa nach oben zu heben. Perspektivisch kann sogar ein "Quantencomputing Made in Europe" möglich werden. Hierfür brauchen wir aber die entsprechenden Rahmenbedingungen, für die die neue Bundesregierung sorgen muss.
Aber nicht nur aus wirtschaftlichem Interesse, sondern auch aus sicherheitspolitischen Interessen besteht Handlungsbedarf. Denn mit der enorm gesteigerten Rechenleistung durch Quanten steigt das Risiko von Cyberangriffen – eine Bedrohung für private sowie politische Bereiche, in denen sichere Kommunikation wichtig ist. Hier muss heute gehandelt werden, denn morgen ist zu spät. Warum? Weil heute bereits absehbar ist, dass herkömmliche Verschlüsselungstechniken durch Quantencomputer nicht mehr sicher sein werden.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) leistet wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor.
Prof. Dr. Carolin Häussler
Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?
Wie können wir die Innovationskraft fluider Organisationen nutzen und stärken?
Prof. Dr. Carolin Häussler ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Organisation, Technologiemanagement und Entrepreneurship und DFG-Vertrauensdozentin an der Universität Passau. Sie ist außerdem Projektleiterin im DFG-Graduiertenkolleg 2720: "Digital Platform Ecosystems (DPE)" an der Universität Passau. Sie ist Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation der Bundesregierung. Mit dem International Center for Economics and Business Studies lockt sie Forscherinnen und Forscher aus aller Welt nach Passau.
Mehr Informationen
- Zum EFI Gutachten 2025
- Wir können Quanten-Champion werden! - Gastbeitrag von Prof. Dr. Carolin Häussler in der ZEIT (8.3.2025) sowie im Wissen Drei Newsletter (6.3.2025)
- Quantentechnologie: Deutschlands Chance auf Spitzenposition - Meldung auf silicon.de (28.2.2025)
- Quantentechnologien: Deutschlands Chance auf eine globale Spitzenposition - Meldung auf finanznachrichten.de (28.2.2025)
- Expertenkommission sieht Chancen bei Quanten - Forschung und Lehre (26.2.2025)
- Porträt von Prof. Dr. Carolin Häussler - Tagesspiegel Background (26.2.2025)
- Meldung beim Informationsdienst Wissenschaft (26.02.2025)