Landtagspräsidentin Ilse Aigner stellte am Montag, 29.7., gemeinsam mit Prof. Dr. Tristan Barczak (im Bild: zweiter von rechts) und Landtagsdirektor Peter Worm das Rechtsgutachten zur Einführung einer sogenannten „Extremismusklausel“ im Bayerischen Abgeordnetengesetz vor. Foto: Matthias Balk / Bildarchiv Bayerischer Landtag
Prof. Dr. Tristan Barczak, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und das Recht der neuen Technologien an der Universität Passau, hat im Auftrag von Landtagspräsidentin Ilse Aigner ein Rechtsgutachten zur Einführung einer sogenannten Extremismusklausel im Bayerischen Parlamentsrecht verfasst. Am Montag hat er dieses gemeinsam mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner der Öffentlichkeit präsentiert. In dem Gutachten befasst sich der Jurist insbesondere mit der Frage, ob die bestehende Rechtslage ausreicht, damit "verfassungsfeindlichen" persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abgeordneten die Erstattung der Vergütung verweigert werden kann und ob eine sogenannte Extremismusklausel für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Abgeordneten und Fraktionen geschaffen werden könnte. Im Interview spricht Prof. Dr. Barczak über Erkenntnisse aus seinem 233 Seiten umfassenden Gutachten, über die Frage, wie sich Verfassungsfeindlichkeit feststellen lässt und über Kritik von Seiten der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD).
Was ist eine "Extremismusklausel" und wäre eine solche zulässig?
Mit dem Begriff der "Extremismusklausel" wird eine geplante Regelung bezeichnet, mit der zwar kein Beschäftigungsverbot "verfassungsfeindlicher" Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Abgeordneten des Bayerischen Landtags einhergehen soll, wohl aber ein Ausschluss der nach dem Bayerischen Abgeordnetengesetz vorgesehenen Kostenerstattung für Arbeits-, Dienst- und Werkverträge mit den betreffenden Personen. Die Normierung einer "Extremismusklausel" gilt dabei als ein Mittel zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie der Funktionsfähigkeit und Integrität des Landtags. Hintergrund für die von mir zu begutachtende Neuregelung ist der Umstand, dass die Verwaltung des Bayerischen Landtags im Jahr 2023 Medienberichten zufolge bei vier Mitarbeitern einzelner Abgeordneter der AfD im Bayerischen Landtag Bezüge zu extremistischen Organisationen identifiziert hat: zwei als Mitglieder der als rechtsradikal eingestuften Burschenschaft "Danubia München", die beiden anderen als Aktivisten der "Identitären Bewegung".
Reicht die bestehende Rechtslage aus, um "verfassungsfeindlichen" persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Abgeordneten die Erstattung der Vergütung zu verweigern?
Die geltende Rechtslage in Form des Bayerischen Abgeordnetengesetzes und verwaltungsinternen Richtlinien reicht nicht aus, um die Kostenerstattung zu verweigern. Eine entsprechende "Extremismusklausel" greift in das verfassungsrechtlich garantierte freie Mandat der Abgeordneten des Bayerischen Landtags ein, welches auch die freie Auswahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erfasst. Die Inanspruchnahme der Information, Zuarbeit und Beratung durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist unter den Gegebenheiten eines modernen Parlamentarismus eine wesentliche Bedingung für die professionelle und effiziente Wahrnehmung eines Abgeordnetenmandats. Um einen entsprechenden Eingriff in die Mandatsfreiheit rechtfertigen zu können, braucht es einer hinreichend bestimmten und verhältnismäßigen Rechtsgrundlage in den Landesparlamentsgesetzen. Diese wäre durch Gesetzesänderungen zu schaffen.
Eine Feststellung der "Verfassungsfeindlichkeit" aufgrund der bloßen Mitgliedschaft in durch die Verfassungsschutzbehörden beobachteten, nicht verbotenen Organisationen ist indes verfassungsrechtlich ausgeschlossen; dem stehen das Parteien- und Vereinigungsprivileg des Grundgesetzes entgegen.
Prof. Dr. Tristan Barczak, Universität Passau

Prof. Dr. Tristan Barczak bei der Pressekonferenz im Bayerischen Landtag. Foto: Matthias Balk / Bildarchiv Bayerischer Landtag
Was sind Ihre Empfehlungen? Welche Gesetzesänderungen braucht es?
Will der bayerische Gesetzgeber eine Extremismusklausel im Parlamentsrecht des Landes verankern, bedarf es zunächst einer entsprechenden Änderung des Bayerischen Abgeordnetengesetzes. Darüber hinaus erscheint eine entsprechende Änderung des Bayerischen Fraktionsgesetzes sinnvoll und rechtssystematisch konsequent, schon um Umgehungen vorzubeugen, die bei einer isolierten Normierung im Abgeordnetenrecht drohten. Dabei wird es entscheidend darauf ankommen, die Begriffe "Extremismus" und "Verfassungsfeindlichkeit" tatbestandlich zu übersetzen und in Rechtsform zu bringen. Hierbei handelt es sich aus gutem Grund nicht um Rechtsbegriffe, denn der freiheitliche Verfassungsstaat denkt – auch in seiner Gestalt als "wehrhafte", oder auch "streitbare Demokratie" – nicht in den Kategorien von "Freund" und "Feind".
Wie lassen sich Verfassungsfeinde identifizieren?
Für die Feststellung der "Verfassungsfeindlichkeit" einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters ließe sich insbesondere an einschlägige strafrechtliche Verurteilungen anknüpfen. Dazu zählen etwa Straftaten wegen einer Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Nötigung von Verfassungsorganen oder Behinderungen von Wahlen und Abstimmungen. Auch an eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden ließe sich anknüpfen. Eine Feststellung der "Verfassungsfeindlichkeit" aufgrund der bloßen Mitgliedschaft in durch die Verfassungsschutzbehörden beobachteten, nicht verbotenen Organisationen ist indes verfassungsrechtlich ausgeschlossen; dem stehen das Parteien- und Vereinigungsprivileg des Grundgesetzes entgegen. Hinzu kommt eine mögliche Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes: Rechtspraktisch liegt die wohl größte Schwierigkeit darin, die betreffenden Personen als "Verfassungsfeinde" zu identifizieren. Hier kommt zum einen ein Fragebogen in Betracht, über den die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter bei Vertragsschluss de facto ein Verfassungstreuebekenntnis abgeben muss; so wird es auch bei der Einstellung in den Öffentlichen Dienst in Bayern praktiziert. Wenn man sich auf eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Fragen nicht verlassen und im Übrigen nicht auf "Zufallstreffer" – etwa durch eine investigative Recherche der Medien – angewiesen sein will, ließe sich über eine Anfrage beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz nachdenken. Solche Anfragen dürfen aber nicht ausnahmslos und flächendeckend erfolgen, sondern müssen sich auf Stichproben beschränken.
Was sagen Sie zu Vorwürfen, wonach sich das Gutachten exklusiv gegen die AfD richten würde?
Die Kritik der AfD ist ebenso erwartbar wie unzutreffend. Die eingangs genannten Fälle dienen zwar als Anlass für die Erstellung des Rechtsgutachtens. Die in dem Gutachten vorgeschlagene Regelung bildet indes kein Sonderrecht gegen eine bestimmte Partei oder Fraktion. Vielmehr würde eine entsprechende Klausel, so sie denn gesetzlich verankert werden sollte, Extremistinnen und Extremisten aller Couleur erfassen, das heißt Rechtsextremisten ebenso wie Linksextremisten oder Islamisten. Dies gebieten das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung gleichermaßen. Wenn sich nun vorrangig die AfD durch das Gutachten und eine geplante Extremismusklausel angesprochen fühlt, spricht das freilich für sich.
Zum Gutachten von Prof. Dr. Barczak
Prof. Dr. Tristan Barczak, LL.M., Juli 2024: Einführung einer „Extremismusklausel“ im Bayerischen Parlamentsrecht, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Präsidentin des Bayerischen Landtags.
Mehr Informationen und Medienberichte
Medienberichte:
- Landtag könnte Geld für Extremisten einfrieren – Augsburger Allgemeine (29.07.2024)
- Gutachten: „Extremismusklausel“ wäre zulässig – BR24 (29.07.2024)
- Verfassungsfeinde sollen kein Geld mehr bekommen - Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.07.2024)
- Passauer Universitätsprofessor: „Extremismusklausel“ im Bayerischen Landtag zulässig – Passauer Neue Presse (29.07.2024)
- Kein Steuergeld mehr für Verfassungsfeinde? - Süddeutsche Zeitung (29.07.2024)
- Gutachten ebnet Weg für "Extremismusklausel" in Bayern - dpa (29.07.2024), u.a. aufgegriffen von der Süddeutschen Zeitung, Zeit Online, Welt Online und vom Münchner Merkur
Prof. Dr. Tristan Barczak
Wie resilient sind Staat und Verwaltung in Krisenzeiten?
Wie resilient sind Staat und Verwaltung in Krisenzeiten?
Prof. Dr. Tristan Barczak, LL.M. studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promovierte 2011 zum Dr. iur. am dortigen Institut für Öffentliches Recht und Politik. Nach einem Masterstudiengang im Medizin- und Gesundheitsrecht (LL.M.) und dem juristischen Vorbereitungsdienst am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg war er von 2014 bis 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht tätig. Seit 2020 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und das Recht der neuen Technologien an der Universität Passau.